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ukitesfrnlseFriesland verstehen II - Zu viel Wasser und zu wenig


 Während es im ersten Teil dieser Landschafts-Beschreibung um den Kampf gegen das Meer und seine noch heute erkennbaren Spuren ging, wird es in diesem Teil um das Wasser gehen, von dem es innerhalb der Deiche entweder zu viel oder zu wenig gab und/oder gibt.
Dabei werden sowohl einige tradierte Eigenheiten, als auch Erscheinungen im Landschaftsbild verständlich werden.

Wohin man in Friesland und Ostfriesland auch schaut: überall sieht man Gräben und Wasserläufe.
Die Gräben umgeben Häuser und Gehöfte, durchziehen größere Grundstücke und ganze Ortschaften. In den wenigsten Fällen kann man sie jedoch als „Fließgewässer“ bezeichnen.
Die Weser und die Hunte, als Beispiele für die wenigen echten Flüsse, fließen bei auflaufendem Hochwasser sogar über viele Kilometer stromaufwärts.
Alle diese Wasserläufe gehören zu einem gigantischen Entwässerungs-System, das vom einzelnen Haus über meist „Bäke“ genannte Sammel-Läufe in die „Tiefs“ führt, die ihrerseits über die Siele ins Meer entwässert werden.
In einer Landschaft, die großflächig auf dem Niveau des Meeresspiegels oder gar darunter liegt, ist die geregelte Abführung des Oberflächenwassers von enormer Wichtigkeit.
Dieses System wird aufwendig gepflegt. Jeder Hausbesitzer hält die Entwässerungsgräben um sein Haus herum frei – sonst durchfeuchtet sein Anwesen sehr schnell.
In jedem Winterhalbjahr sieht man, wie Gräben auf dem freien Feld ausgebaggert und von Algenbewuchs befreit werden.
Es gibt sogar eine Art jährlicher Steuer, die von allen Bewohnern einer Gemeinde bis zu einer gewisssen Höhe über N.N. (Normal Null) erhoben wird, im Volksmund noch „Deichacht“ genannt.

Nun könnte man meinen, es sei einfach, das Oberflächenwasser los zu werden. Bei Ebbe (korrekt: „Niedrigwasser“, rund alle 12 Stunden) werden die Siele geöffnet (früher passiv, heute meist maschinell unterstützt), damit das Wasser abfließen kann und bei Flut (korrekt: „Hochwasser“) wieder geschlossen, damit das Meer nicht eindringt.

Xxx Platzhalter Bild historisches Sieltor Vareler Hafen xxx

Doch so einfach ist das nun doch nicht. Bei Sturmflut-Situationen (fast immer im Winterhalbjahr) spitzt sich die Lage oft dramatisch zu. In einer solchen Wetterlage kommen meistens zwei Faktoren zusammen. Da ist zum einen ein anhaltender Sturm, der über Tage aus Nordwesten weht mit dem Effekt, dass in der Deutschen Bucht das Hochwasser nicht ablaufen kann. Die Folge ist ein immer höher auflaufendes Hochwasser mit entsprechend zunehmendem Wellenschlag.

Xxx Platzhalter Bild Flutsteine Dangast xxx

Der Wellenschlag „knabbert“ an den Seedeichen, weswegen diese besonders sorgsam gepflegt werden.
Zu dieser Pflege gehören übrigens auch die Schafe, die vom Frühling bis zum Spätherbst die Grasnarbe düngen und mit ihren Hufen verdichten.
Einen gegenteiligen und schädlichen Effekt haben übrigens Schlittenkufen und Fahrradreifen, mit denen mancherorts unbedarfte Touristen achtlos tiefe Riefen in die Seeseite der Deiche schneiden, wo der Wellenschlag dann dankbare Angriffspunkte findet.
Apropos Schafe: wenn man diese kniend grasen sieht, sieht das zwar lustig aus, hat aber mit Faulheit nichts zu tun. Meistens tun sie dies, weil sie Schmerzen in den Klauen haben. Ursache ist eine verbreitete Huferkrankung, deren Erreger sich im feuchten Boden hartnäckig hält bzw. immer wieder verbreitet: die sogenannte „Moderhinke“.

Der zweite Faktor ist die sogenannte „Springtide“. Alle 14 Tage stehen Sonne und Mond entweder auf gegenüberliegenden Seiten der Erde oder zusammen auf der selben Seite. Dann fällt das Hochwasser überdurchschnittlich hoch aus (in der Deutschen Bucht mit 3 Tagen Verspätung).
Kommen jetzt beide Faktoren zusammen, also die Springtide sowie anhaltender Sturm aus Nordwest, dann haben wir eine Sturmflut. Jetzt kann das Oberflächenwasser aus dem Binnenland nicht mehr passiv abgeführt werden. Es staut sich zunehmend im Binnenland. Kommen dann noch Starkregen oder Schneeschmelze hinzu, dann ist das friesische Tiefland in Alarmstimmung.
Zwar gibt es mittlerweile in Abständen an der Küste eindrucksvoll leistungsfähige Pumpstationen, doch auch deren Kapazität ist nicht auf den worst case ausgelegt.
Da hilft nur massives und frühzeitiges Abpumpen des Wassers und Beten, dass der Sturm bald abflaut.

Xxx Platzhalter Bild Pumpwerk Vareler Hafen xxx

Jetzt könnte man meinen, dass man den Sommer nutzen könnte, um so viel Wasser ablaufen zu lassen, wie möglich. So hätte man im Winter eine Reserve. Doch weit gefehlt: weite Flächen dieser Landschaft stehen auf moorigem Untergrund, der nicht unkontrolliert trocknen darf, weil sonst die Fundamente vieler Bauwerke brechen würden.
Deswegen ist auch der Abfluss kleinerer Sammelkanäle exakt reguliert.
Die Entwässerung des Binnenlandes ist ein sehr fein austariertes System aus Wasser abführen und Wasser festhalten. Wie der Titel oben sagt: „Wasser - zu viel oder zu wenig“.

Eine Besonderheit dieser Entwässerung stellen die Bereiche dar, die unter dem Meeresspiegel liegen. In den Niederlanden ist das nichts Besonderes, in einigen Gebieten Ost-/Frieslands findet man daher die von unseren Nachbarn vertraute Technik wieder, Wasser zunächst auf ein höheres Niveau zu pumpen, um es von dort aus ins Meer zu entlassen. Das wird heutzutage durch Pumpen erledigt. Vor der Elektrifizierung nutzte man dazu Wasserschöpfmühlen.
Ein sehr gepflegtes und funktionstüchtiges Beispiel einer solchen Mühle findet sich Neustadtgödens auf dem Wedelfeld (53.47251, 7.9916). Sie ist zwischen zwei unterschiedlich hohen Wasserläufen installiert und pumpte ursprünglich mittels einer windbetriebenen archimedischen Schraube das Wasser vom tiefer gelegenen in den höher gelegenen Wasserlauf. Diese Mühle ist jederzeit frei zugänglich (150m feuchter Wiesenpfad). Samstags kann sie nach Vereinbarung auch von innen besichtigt und mit Glück auch in Funktion gesehen werden.
Informationen dazu finden sich hier:
https://www.ostfriesland.de/mein-ostfriesland/ferienorte/sande/interessantes/wasserschoepfmuehle-auf-dem-wedelfeld.html

xxx Platzhalter Fotos Neustadtgödens Wassermühle xxx

Überhaupt ist Neustadtgödens einen Spaziergang wert. Die Häuser des Ortskerns sind mit der Tätigkeit des Erbauers beschildert. Durch die Religionsfreiheit, durch die Besitzer der „Herrlichkeit Gödens“ gewährt, haben viele Religionsgemeinschaften ihre Spuren im Ort hinterlassen.

Xxx Platzhalter Fotos Neustadtgödens

Wasser – zu wenig

Obwohl es in Ost-Friesland überall Wasser im Überfluss gibt, war doch über viele Generationen die Trinkwasserversorgung eine zentrale Herausforderung.
Vor der Technisierung der Wasserversorgung war genießbares Süßwasser kostbar. In der Geest war es wegen des Drainage-Effekts des Bodens schnell versickert, in der Marsch hingegen war das Wasser meistens salzig, und in den Niederlassung der Moorgebiete war das Grundwasser fade und muffig. Mit gängigen Handpumpen konnte man Trinkwasser-Schichten heutiger Qualitäten nicht erreichen.
Die frühen Siedler sammelten noch das Regenwasser in sogenannten „Soods“ oder in „Fethingen“ (germanisches „th“ wie heute im Englischen gängig).
Ein solcher Fething ist noch in dem Wurtendorf Ziallerns erhalten (53.64768, 7.87415).
Ein Sood speicherte nach heutigem Forschungsstand sauberes Regenwasser als Trinkwasser für die Siedler, während der Fething Oberflächenwasser zur Viehtränkung speicherte.
Der vormalige, langjährige „Dorfschreiber“ von Ziallerns, Gerhard Ahlrichs, ein anerkannter regionaler Historiker, wusste vor Jahrzehnten in einem persönlichen Gespräch vor Ort zu berichten, dass sich in der Schichtung der Fethings viel untergegangenes Wissen um Filtertechnik verbirgt. So sollen diese Fethings durch kenntnisreiche Verwendung unterschiedlicher Schichten organischen und anorganischen Materials nicht nur Oberflächenwasser gesammelt haben, sondern auch das brackige Wasser des umliegenden Marschlandes veredelt und nach innen geleitet haben.

Wenn man heute durch die Landschaft fährt, riecht man mancherorts die künstliche Bewässerung mit dem oberflächennahen Grundwasser deutlich. Es riecht leicht nach Gülle, irgendwie faulig. Das liegt an den Eisenverbindungen, die an der Luft oxidieren.
Man kann sich vorstellen, was für ein „Genuss“ es früher gewesen sein muss, sich ein Tässchen von diesem Wasser oder auch von abgestandenem Regenwasser unter die Nase zu halten oder gar zu trinken.
UND DANN KAM DER TEE!

Eine naheliegende historische Erklärung für die Teeliebe der Ost-/Friesen hört man hierzulande nicht gerne. Sie sei dennoch erläutert. Wenn das Wasser schon nicht schmeckte, musste man es irgendwie genießbar machen und auch desinfizieren. Wie die römische Armee meist zweifelhaftes Trinkwasser auf ihren Feldzügen mit Wein veredelt und gereinigt hat, so hat man hierzulande das Wasser ab seiner breiten Verfügbarkeit mit Tee genießbar gemacht. Hitze und die Gerbstoffe des Tees machen manchem Keim den Garaus.

Der sogenannte „Ostfriesentee“ ist daher vor allem stark und schwarz.
Wer hier nach einem grünen oder gar weißen Tee fragt, erntet zumeist mindestens eine hochgezogene Augenbraue.
Bekommt man einen Tee angeboten, so ist man als Gast gern gesehen. Das sollte man dann auch zu würdigen wissen.
Ein richtiger Ostfriesentee (mit „Wölkchen“ und bloß nicht umrühren!) ist sicherlich ein markantes Geschmacks-Erlebnis. Nicht umsonst spricht man von der „Ostfriesischen Teezeremonie“. Wer jedoch eine japanische Teezeremonie erwartet, sollte nach Japan reisen.
Ganz selten findet man noch Angebote mit echtem Rahm (um 30% Fettgehalt), statt der gängigen Industriesahne. Diesen Genuss sollte man sich dann wirklich nicht entgehen lassen.

Das nächste Kapitel wird sich vor allem mit der regionalen Bauweise beschäftigen.
Die Bilder oben werden noch eingefügt, wenn der Text online ist.


ibnvh, 2016-06-27

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