Europas umfangreichstes Wohnmobil-Portal
Über 15 Jahre Erfahrung und Qualität
von Wohnmobilfahrern für Wohnmobilfahrer

ukitesfrnlseFriesland verstehen – Hinter´m Deich


 Moin zusammen,

als Zugewanderter habe ich mich mit der Landschaft Ost-/Frieslands intensiv befasst.
Ich finde es immer spannend, eine Landschaft und ihre Eigenarten kennen- und verstehen zu lernen.
In loser Folge werde ich meine gesammelten Erkenntnisse hier veröffentlichen.
Dabei wird sicherlich für manchen das eine oder andere interessante Detail klar werden.

Zunächst schildere ich mal die Eigentümlichkeiten und die Geschichte der Landschaft.
Später folgen dann Kapitel zu einzelnen Strukturen, Einrichtungen und Bauten.
Auf geht’s.

Wer hügelige oder gar gebirgige Landschaften gewohnt ist und Friesland besucht, meint leicht, hier sei alles flach. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das Auge muss sich erst daran gewöhnen, dass die Höhenunterschiede hinter´m Deich zwar gering sind, aber in der Geschichte der Landschaft oft über Leben und Tod entschieden haben.
Die Landschaft ist stellenweise bis weit ins Binnenland vom Jahrhunderte langen Kampf gegen das Meer geprägt.
Noch vor rund 12.000 Jahren, während der letzten Eiszeit (also vor rund 350 Menschengenerationen), konnte man noch bis zur Doggerbank den grasenden Tieren folgen. Das sind 600 Kilometer nördlich der heutigen Küstenlinie. Seitdem steigt der Meeresspiegel kontinuierlich und sesshafte Völker kämpfen seitdem mit Erfolg, aber auch mit historischen Rückschlägen gegen das Meer an.
Die verschiedenen Stufen und Teilerfolge dieser Kämpfe erkennt man noch heute in der Landschaft.
Fährt man z.B. von Jever aus die 20 km an die Küste nach Harlesiel überquert man rund 12 alte Deichlinien. Diese erkennt man oft nur an einer ganz leichten Erhöhung und an der Bebauung parallel zur Küste sowie an den Straßen- und Ortsnamen.
Häufig haben die Namen Bestandteile wie „Diek“, „Deich“ oder „Groden“ (= dem Meer abgerungenes Weideland“).
Vor und hinter diesen alten Deichlinien erkennt man oft Höhenunterschiede im Terrain, wobei nicht immer zwingend das „ältere Land“ höher liegt, als das neue.
Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen (Vegetationsperioden, Phasen verschieden starker Anschwemmung von Schlick, unterschiedliche Eindeichungstechniken und -Budgets).
Diese stufenweise Landgewinnung erkennt man besonders im Bereich Ostfrieslands und im Kreis Wesermarsch.

Dazwischen zeigt sich ein anderes Phänomen: die Geestlandschaft.
Von Belgien bis nach Dänemark erstreckt sich mit wenigen Unterbrechungen mehr oder weniger nah an der Küste der sogenannte „Geestrücken“.
Dabei handelt es sich um eine eiszeitliche Aufschüttung von Sand und Geröll, die lange Zeit die natürliche Grenze gegen Sturmfluten darstellte und auch eine andere Kultur hervorgebracht hat (dazu später mehr).
Dieser Geestrücken erhebt sich 8-15m über die umgebende Landschaft. Er ist gerade am Übergang von alten Siedlungen zu den Grodengebieten deutlich sichtbar, also alles andere als flach.
Man überquert ihn sichtbar, wenn man von Varel nach Dangast fährt (Gipfel etwa hier: 53.42774, 8.11051) oder auch ganz deutlich im Hinterland von Zetel (Gipfel etwa hier: 53.42708, 7.97511).
In Dangast „Auf der Gast“ (=Geest) reicht der Geestrücken bis ans Meer, weswegen der Kern von Dangast ohne Deich auskommt. Alles, was vor der Dangaster Klippe lag, wurde bei vergangenen Sturmfluten weg gespült, also alles zwischen Dangast und dem Leuchtturm Arngast („Gast“!).
Daher führt der Dangaster Kirchweg nicht etwa zu einer Kirche, sondern zum Meer, in die Richtung nämlich, wo vor Urzeiten eine Kirche stand und heute die Nordsee plätschert.
Wenn man sich den kleinen Sandstrand vor dem alten Kurhaus in Dangast genau ansieht, findet man noch Reste alter Grabsteine, obwohl die See den Friedhof vor Urzeiten zerstört hat.

Da die Geest recht unfruchtbar ist, das neu gewonnene Land jedoch sehr fruchtbar, erkennt man in den kleineren Siedlungen noch heute die frühere Verteilung des Reichtums an der Größenordnung und Aufwendigkeit der Bauten. Nur die früheren Handelszentren auf der Geest können mit den teils prunkvollen Bauten im Marschland mithalten.
Dieses Wohlstandgefälle führte in früheren Zeiten zur radikalen Abgrenzung von Marsch- und Geestbewohnern. Man heiratete beispielsweise nicht untereinander, weil eine Partei immer „arm geheiratet“ hätte.
So lagen oft Ortschaften mit ausgesprochen armer Bevölkerung nur ein paar Steinwürfe von solchen entfernt, die für die damalige Zeit über ausgesprochenen Reichtum verfügen konnten.
Manche Zwiste aus dieser Zeit sollen sich noch bis heute erhalten haben.

Aber jetzt mal einen Schritt zurück!
Bevor es zu der heutigen Deichtechnik kam, hat man sich und sein Eigentum nur punktuell geschützt.
Zunächst hat man über Generationen Hügel aufgeworfen aus Schlick, Algen, Stroh und Dung.
Man hört dass hier gar nicht gerne, wenn ich als Zugewanderter sage: „Die haben sich hochgeschi....“. Aber mangels Baumaterial musste alles verwendet werden, was Masse hatte, um Zentimeter für Zentimeter an Höhe zu gewinnen.
Auf den so entstandenen Wurten, Warten, Warften, Viarden wurde gesiedelt.
Da reichten auch bei Sturmfluten oft schon zwei Meter Höhe, um die Familie und das Vieh in Sicherheit zu bringen. Dann floss die Flut eben „außen herum“. Nur einige größere historische Sturmfluten haben schwächere Warften untergehen lassen.
Oft löschte eine Sturmflut eine ganze Siedlung aus; die Warft jedoch wurde teils von anderen Völkern neu besiedelt (die Chauken gehen unter oder werden von den Friesen assimiliert – dazu ein anderes mal).
Mit fortschreitender Besiedlung wurden diese Warften, größer und reicher. Mit der Christianisierung wurden darauf Kirchen errichtet, typischerweise auf dem höchsten Punkt der Warft.
Das hatte rein praktische Gründe. Eine Sturmflut ist zunächst und vor allen erst mal eines: Sturm, und zwar ein eiskalter, da diese Stürme fast ausnahmslos im Winter vorkommen. Der Wind kommt aus Nordwesten, also von der offenen See, ungebremst durch Gelände-Hindernisse.
Im Gegensatz zu den einfachen Bauten bot die Kirche der Gemeinschaft einen relativ geschützten und erhöhten Raum. Auch der umgebende Friedhof lag erhoben – schließlich sollten auch die lieben Ahnen nicht von der Flut weg gespült werden.
Eindrucksvolle Beispiele solcher Warften finden sich im Jeverland: Ziallerns (53.64768, 7.87415) oder Minsen (6 m hoch! 53.70482, 7.96847) sowie auf der Deich-parallelen Strecke in der nördlichen Wesermarsch: z.B. Ruhwarden (53.59145, 8.2796) und Langwarden (53.60385,8.30613).

Mit zunehmendem Wohlstand, steigender Bevölkerung und größerer Viehhaltung veränderte sich auch der Hochwasserschutz. Die Aufschüttung von Siedlungshügeln wich der wirtschaftlich günstigeren Eindeichung einzelner Gehöfte und Ansiedlungen (mehr Hände, weniger zu bewegende Masse). Gelegentlich sieht man diese partiellen Eindeichungen noch, z.B. hier in Crildumersiel (53.64818, 8.02266) nahe Hooksiel.
Diese Deichlinien wurden später in Gemeinde-übergreifende, Küsten-parallele Großprojekte einbezogen.

Kennzeichnend für diese Warften ist meist ein alter Baumbestand. Auch das hat mehrere Gründe.
Zum einen halten Bäume den Wind ab. Zudem liefern sie Brennstoff und Baustoff vom Werkzeugstiel bis zum Dachbalken. Ganz wichtig ist auch, dass große Bäume die Feuchtigkeit aus dem Boden ziehen und damit die Gebäudesubstanz vor Durchfeuchtung schützen.
Gepflegte Mehrgenerationen-Gehöfte erkennt man daher noch heute oft daran, dass auch der Gehölzbestand gepflegt und in mehreren Baum-Generationen angelegt ist.

Zu den Deichen ließe sich noch einiges mehr sagen, aber das füge ich beim nächsten Thema ein.

Beste Grüße
Toni


ibnvh, 2016-06-23

Copyright © 2023 - meinwomobuch.com
aufgelistet in der Wohnmobil Stellplatz Datenbank von meinwomo